anzeige Das Löwen Kompendium - die große Statistik über den Fußball im TSV München von 1860 - jetzt neu erschienen im Verlag Harald Voß
anzeige Das Hertha Kompendium - die große Statistik über Hertha BSC  - erschienen im Verlag Harald Voß
Verlag Harald Voß
Berlinale oder Stuttgart?

(von Bert Handschumacher)

Nachdem ich 10 Tage lang Berlinale pur mit bis zu 3 Filmen am Tag und dem Stelldichein der Stars und Sternchen erlebt hatte, konnte mich unser Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart nicht wirklich begeistern. Irgendwie war auch das letzte Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg noch nicht so ganz verdaut. Andererseits wollte man auch die Serie, in dieser Saison alle Auswärtsspiele gesehen zu haben, nicht reißen lassen, so dass ich wohl oder übel auch nach Stuttgart musste. Um so wenig wie möglich von der Berlinale zu verpassen, gab es nur eines: morgens hinfliegen und nach dem Spiel zurück. Das Interesse unter den Fans war nicht so groß. Hertha-Freund Achim hatte mich im Vorfeld angerufen und gefragt, ob ich mit dem Auto nach Stuttgart fahren würde. Er suche eine Mitfahrgelegenheit, da die Fan-Busse mangels Nachfrage abgesagt worden waren. Ein Sonntagabendspiel beim VfB Stuttgart ist also genauso anheimelnd wie der Gedanke, seine Flitterwochen in Gelsenkirchen zu verbringen.

Um 11:45 Uhr ging der Flug und entgegen der Zusage hat mich meine Freundin nicht zum Flughafen gefahren. Sie zog das Ausschlafen vor. Mit dem "Tagesspiegel" bewaffnet, bestieg ich den Flieger und vertiefte mich sofort in die Seiten. Beim Feuilleton angelangt, bemerkte ich, dass die Frau rechts neben mir mich stark musterte. Ihre Mimik verriet ihre Gedanken: "Was will dieser Fußballprolet mit dem Feuilleton? Ob ich ihm den Sportteil meiner BamS zum Tausch anbiete?" Das Gesicht der Dame erkannte ich sofort. Es war Meret Becker. Um mir die Sinnlosigkeit meines Versuches, den Kulturteil zu lesen, aufzuzeigen, sprach sie mich auf den Leitartikel zur Berlinale an. Überrascht war sie dann, dass Trikotträger sich auch für andere Dinge als Fußball interessieren und sich wohl intensiver damit beschäftigt haben als sie selber. So entschied ich mich, die Filmdiskussion nicht weiter zu vertiefen.

In Stuttgart angekommen, ging ich sofort runter zur S-Bahn und bestieg den Zug um 13:08 in Richtung Plochingen. (Jens, ein mir aus dem Internet bekannter VfB-Fan, hatte mir freundlicher Weise vorher die Zugverbindung zugesandt.) Es war derselbe S-Bahn-Typus wie in fast allen anderen Städten und Regionen. Aber doch war etwas anders als sonst. Er war fast porentief rein. Da konnte man noch vom Fußboden essen. "Na klar", dachte ich und schlug mir mit der Hand an die Stirn. "Ich bin ja in Stuttgart."

Gespenstige Ruhe herrschte in dem doch recht vollen Abteil. Keiner sprach. Jeder saß mit geradem Rücken ordentlich auf seinem Sitz und vermied jeden irgendwie gearteten Kontakt mit seinem Nächsten. Ab und zu wurde diese Sonntagsandacht durch unverständliche Lautsprechergeräusche gestört. Erst später verstand ich diese. Wo in anderen Regionen die nächsten Stationen durch eine Bandansage laut und deutlich artikuliert dem Reisenden mitgeteilt werden, muss das hier noch der Zugführer selber machen. "Näche Stationn Univelsitätt!" dröhnte es mit stark asiatischem Akzent. Das war Situationskomik pur. Ich prustete laut los. Das hätte selbst Monthy Python nicht besser inszenieren können. Soviel Witz hätte ich den Schwaben gar nicht zugetraut.

In Bad Cannstatt angekommen, stieß wenige Minuten später Jens dazu, um mich in die Stadiongaststätte des VfB zu entführen. Sie wird von einem Griechen namens "Dimi" betrieben und hat so tolle Essenskombinationen wie "Cevapchicci mit Spätzle" auf der Karte. Es war ein riesiger Raum mit Tischen und Stühlen im Stile der bayrisch-fränkisch-schwäbischen Autobahnraststätten der 70er Jahre. Spießig und langweilig bis zum Gehtnichtmehr. Etwa 50 VfB-Fans waren bereits drin. Als wir den Laden betraten, wurde es schlagartig still und sämtliche Köpfe bewegten sich in unsere Richtung. Als ich auch noch meinen Pullover auszog und das Hertha-Trikot zum Vorschein kam, musterten sie mich von oben bis unten, so, als ob sie zum ersten Male einen auswärtigen Fan gesehen hätten. "Sei ganz unbesorgt, die sind friedlich und tun dir nichts", war Jens um mein persönliches Wohl besorgt. Das wären die "VfB-Ultras", die irgendeine Versammlung hätten, klärte mich Jens auf. Von ihrem Äußeren und ihrer Ausstrahlung her sollten sie sich lieber "Ariel-Ultras" nennen, so keimfrei und sauber wirkten sie. Ich glaube, sie diskutierten darüber, ob sie aus Protest heute still bleiben sollen, oder wie immer keine Stimmung machen wollen. Es wurde sogar ordnungsgemäß darüber zum Schluss abgestimmt. Man hat sich wohl für "wieder keine Stimmung machen" entscheiden, aber so genau weiß ich das nicht. Nach und nach kamen weitere Mitglieder von Jens' Fanclub an, die ganz nett waren und ihr verständliches Leid über die Situation beim VfB klagten. Einige glauben sogar an den Abstieg.

Plötzlich geisterte ein Flugblatt rum, das aus zusammengeschnippelten Titelzeilen der lokalen Sportpresse zum Thema "VfB" bestand. Überschrift "Der VfB greift nach der 2.Liga!" Soviel Sarkasmus hätte ich denen gar nicht zugetraut. Schon wieder bin ich eines Besseren belehrt worden. Kurz noch nach dem Spieltipp gefragt, schlossen sich die meisten meiner Befürchtung an, dass es das Spiel "Not gegen Elend" mit einem 0:0 werden wird und man brach ins Stadion auf.

Das "Gottlieb-Daimler-Stadion". Ist das nun der Mercedes unter den Stadien? Mitnichten! Eher der VW-Passat-Kombi. Familienfreundlich, langweilig, spießig, ohne jeden Schnickschnack, Automatik-betrieben und vor allem: viel mehr Stauraum als man eigentlich braucht. Bemerkenswert nur der Gästeblock. Der erinnerte an den Raubtierkäfig in Wronki. Nur war der Stuttgarter eine Nummer schärfer. Der hatte oben drauf nämlich zwei Bahnen Stacheldraht. Mich quälten nur die Fragen "Wie komme ich an einen Passierschein ran? Haben die Grepos einen Schießbefehl? Wo kann ich die Ausreise beantragen?" Besonders genial der Ordnungsdienst. Ich musste die Jacke ausziehen und die wurde genau gefilzt. Leibesvisitation? Fehlanzeige! Vielleicht hat ihn auch mein Kommentar abgeschreckt, dass ich total auf unrasierte Männer stehe und ihm gerne dabei meine erogenen Zonen zeigen möchte. Kann es aber wohl doch nicht gewesen sein, denn im Block wurden Pyros, Nebeltöpfe, Leuchtspurraketen usw. gezündet. Zumindest auf die Nebeltöpfe und die Leuchtspurraketen hätten die Jungs verzichten sollen. Das Geschoss ging ganz knapp unter dem aus Plastikplanen bestehenden Dach vorbei. Das Zeug hätte ziemlich gebrannt.

Mit schwäbischer Ruhe und Gemütlichkeit verfolgten die VfB-Ordner das Ganze und vermieden jedwede Hektik. Sprich, sie griffen überhaupt nicht ein und ließen die Typen gewähren. Auf der anderen Seite wurde hinter dem Tor und vor dem VfB-Block ein Feuerwerk abgebrannt. Das einzige des VfBs an diesem Tage. Unten auf der Tartanbahn tobten das Hertha-Maskottchen "Herthinho" und das zahnlose VfB-Kroko. Und weil ja alle "Stuttis" ihr Häusle bauen sollen, tanzte da noch das Leonberger Bauspar-Füchschen. Es war das Spiel "Not gegen Elend", das Elend mit 1:0 gewann, weil "Elend" wieder einmal einen Michael Preetz hatte. Vom VfB-Anhang war nichts zu hören, so dass die Herthaner sangen: "Pigalle, Pigalle, die Schwaben ham 'ne Leichenhalle, da ist gar nichts los..."

Unterstützt wurde das Ganze von etwa 50 KSC-Ultras. Jens sagte mir später, die Akustik sei so schlecht, dass man einfach von der anderen Seite nichts mitbekommen würde. Selbst 1.500 Hearts-Fans hätte man nicht hören können. Sei's drum! Leichenhalle war ob des Allgemeinzustandes und der Situation sehr treffend.

Nach dem Spiel tranken wir bei "Dimi" ein letztes Bier. Man redete nur noch vom Abstieg, so dass die Stuttgarter einem fast Leid tun konnten. Der VfB in der 2. Liga. Wollen wir das wirklich? Aus Respekt Jens und seinen Fanclub-Freunden gegenüber, die mich sehr freundlich aufgenommen haben, möchte ich diesen Gedanken nicht weiter vertiefen.

Mit Taxi und S-Bahn gelangte ich zum Flughafen, wo die Mannschaft von Hertha bereits im Transitraum wartete. Und da wohl an diesem Tage Promi-Tag war, wollte es der Boarding-Computer so, dass ich neben Michael Preetz saß. Neben der üblichen Fußball-Fachsimpelei stellte er die Frage, ob jemand wüsste, wie die Bären auf der Berlinale verteilt worden waren. Es wusste noch keiner. Von ihm angesprochen, äußerte ich meine Favoriten mit "Traffic", "The Claim", "Finding Forrester", "Chocolat" oder "Intimacy". Emma Thompson in "Wit" für die beste weibliche Rolle und Sean Connery in "Finding Forrester" für die beste männliche. Als Flop würde bei mir "Duell-Enemy at the gates" ganz knapp vor "Hannibal" gewinnen, weil letzterer eben doch noch ein Häppchen Hirn hatte...







Diese Seiten wurden mit dem "Online-Magazin-Generator" erstellt. "Online-Magazin-Generator" ist ein Produkt der Verlag Harald Voß, Software-Entwicklung.
© 1999, 2006 Verlag Harald Voß