Der Hertha-Freund stellt vor: Berliner Sportjournalisten (5)
Heute: Ralf Canal (Kicker)
(von Marco Lutz)
Ralf, wie bist Du zum Journalistenberuf gekommen ?
Mein Vater war Trainer und ich Verteidiger. Der Fußball lag bei uns in der Familie schon im Blut. Eines Tages kam von der örtlichen Zeitung der Anruf, über den Verein zu berichten, wo mein Vater Trainer war. Im Laufe der Jahre wurden aus kleinen Berichten große und aus einem kleinen Hobby ein großes. Dann stand ich plötzlich als Sportjournalist da, obwohl ich es gar nicht wollte, sondern eher die Richtung Politik. Eines Tages kam der Anruf vom Kicker und dann bin ich nach Nürnberg gegangen.
Über welche Sportart berichtest Du am liebsten ?
Eigentlich nur über Fußball. Aber auch Boxen interessiert mich. Durch meine Arbeit in Berlin habe ich vor allem durch die Kämpfe von Graciano Rockichiani die Faszination des Boxens entdeckt.
Wie ist Dein Verhältnis zu Hertha BSC ?
Hertha ist wie eine heimliche Liebe, von der man dauernd enttäuscht wird. Hertha ist als Verein mit seinen ganzen Stömungen schon faszinierend. Man wünscht sich nichts sehnlicher als den Aufstieg in die 1.Liga.
Wie bewertest Du die momentane Situation bei Hertha ?
Meiner Meinung nach ist der Aufstieg dieses Jahr eine Nummer zu groß. Von der Entwicklung her hat Hertha 1994/95 sportlich die Kurve bekommen. Eine vernünftige Mannschaft und einen guten Trainer. Darauf läßt sich aufbauen. In ein bis zwei Jahren kommt alles zum Tragen. Das schlimmste wäre der jetzige Aufstieg, denn dann kann es genauso eine Katastrophe wie 1990/91 geben, wo die Mannschaft schlichtweg überfordert war.
Über welche Vereine berichtest Du außer über Hertha ?
Beim Kicker steht die Bundesligaberichterstattung im Vordergrund. Mein Gebiet ist der Nordosten. Leider
gibt es dort außer Dresden keine Bundesligamannschaft. Deswegen berichte ich auch hauptsächlich über Dynamo Dresden.
Warum ist es für Dich interessanter, überregional zu berichten, bzw., könntest Du Dir vorstellen, nur regional zu berichten?
Ich kann mir gut vorstellen, auch täglich über eine Mannschaft zu berichten. Ich bin aber ehrlich gesagt manchmal ganz froh, daß ich nicht mehr im Tagesgeschäft drin bin. Dadurch hat man immer ein bißchen Abstand zu der Sache. Der Kicker erscheint zweimal in der Woche. Es ist alles ein bißchen ruhiger und man kann mehr Hintergrundberichte machen. Man braucht nicht täglich alles raushauen. Hertha speziell ist für jeden Journalisten eigentlich sehr angenehm, weil der Verein immer für Stoff sorgt.
Wie ist Dein Verhältnis zur Mannschaft?
Ganz gut. Es ist normal, daß man sich mit einem Spieler besser versteht, mit dem anderen weniger. Als Sportjournalist ist es wichtig, daß man Distanz zum Verein hat. Kumpelhaftes Verhältnis darf es nicht geben. Man kann nicht abends zusammen am Biertresen stehen und am nächsten Tag den Spieler in die Pfanne hauen. Das geht nicht.
Was war Dein größtes Erlebnis, über das Du berichtet hast?
Das Europacup-Finale Genua - Anderlecht in Göteborg. Auch die EM'88 in Deutschland war interessant mitzuerleben. Ich habe damals über das Spiel Deutschland - Holland berichtet. Faszinierend war für mich ein Erlebnis nach dem Spiel. Man konnte ganz einfach in die holländische Kabine marschieren. Dort war Riesenstimmung. Es war so locker, wie es bei uns Deutschen in der Kabine nicht möglich ist.
Deine Traumreportage?
Habe ich mir schon längst erfüllt. Ich schreibe beim Kicker seit sechs Jahren in der Januarausgabe das Jahreshoroskop: "Wie wird das neue Jahr?" Eine Art Satire und Verballhornung der ganzen Bundesligaszene. Es war damals nicht einfach, diese Satire beim Kicker durchzusetzen. Mittlerweile ist es fester Bestandteil. Ich mache solche Sachen sehr gerne. Das verstehe ich unter Traumreportage.
Dein Tip für die restliche Saison 1994/95?
Platz 7. Hertha muß froh sein, wenn es nicht noch weiter runtergeht. Keiner weiß, wie sich durch den Verkauf von drei Stürmern Isa, Kaiser, Jaeckel entwickeln werden. Andreas Schiemann ist kein schlechter, aber ob er sich behaupten kann? Zum jetzigen Zeitpunkt eine Prognose zu stellen ist schwer. Wenn die Vereine vor Hertha Federn lassen, ist der Aufstieg natürlich möglich.
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